Über Verantwortung
Auf die Frage nach der Bedeutung von Essen lautet die erste Antwort oft:
„Essen bedeutet Genuß!“
Essen ist, zumindest in den wohlhabenden Ländern, zu denen Deutschland zweifelsohne gehört, tatsächlich ein erheblicher Faktor von Genuß und Leidenschaft, oft sogar von Prestige.
Es ist ein positives Indiz unseres Lebensstandards, dass der Urzweck des Essens, nämlich die Nahrungsaufnahme als Bedingung unseres menschlichen Lebens, für viele derartig selbstverständlich geworden ist, daß dies gar keine Erwähnung mehr verdient.
Allerdings ist diese Sicht auf die Dinge etwas einseitig. Denn so sehr ein gutes Essen dem eigenen Wohlbefinden zuträglich ist und auch das soziale Leben in Familie und Geschäftswelt positiv beeinflussen kann, so sehr bedeutet Essen heutzutage auch Verantwortung. Verantwortung für die eigene Gesundheit, für die Umwelt, für die Tiere, die auf ganz natürliche Weise Teil unserer Nahrung sind und nicht zuletzt für die Menschen, die mit der Herstellung dieser Nahrung beschäftigt sind.
Wenn Essen bedeutet, Verantwortung zu tragen, gilt dies naturgemäß auch für die Zubereitung des Essens, das Kochen. Und zwar insbesondere für professionelles Kochen.
Denn egal ob Gourmetrestaurant, einfache Speisegaststätte, Imbiss oder Kantine, der Besucher hat keine Möglichkeit, auf die Produktauswahl oder die Zubereitung Einfluss zu nehmen und gibt sich dem Koch, beziehungsweise der Küchenmannschaft, vertrauensvoll hin. Darüber hinaus übernimmt ja ein professioneller Koch alleine an einem Tag Verantwortung für das Essen vieler Gäste, in Einzelfällen sogar mehrerer tausend Menschen.
Dabei spielt es keine Rolle, ob das Essen teuer oder preiswert ist, denn dies darf lediglich das Grundprodukt und den Zubereitungsaufwand rechtfertigen, keineswegs aber die Gewissenhaftigkeit bei der Zubereitung. Der Besucher eines Restaurants kann zumindest erwarten, daß die Speisen hygienisch einwandfrei und schmackhaft sind.
Ich persönlich lege Wert darauf, meinen Gästen eine viel weiter gehende Sicherheit zu bieten. Dies beginnt bei einer klar definierten Zutatenauswahl. Hierzu gehört, dass ich in der Lage bin, die Herkunft der Zutaten klar zu benennen. Eine regionale Herkunft ist erstrebenswert, denn sie bedeutet automatisch einen geringen Transportaufwand und größtmögliche Frische. Jedoch gibt es Ausnahmen, bei denen ein Produkt vom Weltmarkt den regionalen so überlegen ist, dass sich der Einsatz rechtfertigt.
In einem Restaurant ist Regionalität kein Selbstzweck, sondern erfüllt den Wunsch nach Frische und ökologisch verträglichem Genuß. Die Frage, ob die Verwendung eines Produkts aus der Karibik, aus Nordamerika oder Neuseeland hier gerechtfertigt werden kann, ist sehr komplex und für mich nicht abschließend und endgültig zu beantworten.
Eine zunehmende Anzahl von Gästen leidet unter Allergien, Unverträglichkeiten oder rein subjektiven Abneigungen gegen bestimmte Stoffe oder Lebensmittel. Es ist unabdingbar für einen Koch und natürlich auch für seine Mitarbeiter im Service, auf solche Sensibilitäten eingehen zu können. Um diesem Anspruch Rechnung zu tragen, versteht sich eine frische Zubereitung mit natürlichen Lebensmitteln für mich von selbst. So kann ich spontan auf derlei Wünsche eingehen und nahezu jedes Gericht aus einer Speisenkarte so modifizieren, daß es für jeden Gast verträglich bleibt.
Die Benutzung zweifelhafter Hilfsmittel oder Lebensmittel, deren Herkunft nicht klar ist oder die mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine Art und Weise produziert wurden, die ich nicht billige, verbietet sich so von selbst.
Ein negativer Nebeneffekt dieses Prinzips ist leider ein relativ hoher Preis der Zutaten, und somit auch der fertigen Speisen. Insbesondere bei Fleisch und Fisch fällt dieser Umstand stark ins Gewicht, aber durchaus auch bei Gemüse, Früchten und Milchprodukten.
Es erschreckt mich, wenn ich Schweinefilet zu einem niedrigeren Preis angeboten bekomme als Paprikaschoten. Und zwar nicht nur im Discounter, sondern auch bei namhaften Gastronomiezulieferern. Jedem ist klar, dass dies kein Fleisch von artgerecht aufgezogenen und gefütterten Tieren sein kann.
Würde man jedoch den Preis für ein solches Produkt als Maßstab anlegen, wäre klar, dass das Essen in einem guten Restaurant maßlos überteuert erschiene. Ich möchte Sie jedoch ermuntern, jeden Koch auf die Probe zu stellen. Immer häufiger gelingt es Köchen, allein durch die Qualität des Essens den Nachweis für eine gewissenhafte Auswahl der Zutaten zu erbringen.
Denn immer mehr Köche sind sich ihrer Verantwortung bewusst.